Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 8./9. März 2007

Vorratsdatenspeicherung, Zwangsidentifikation im Internet, Telekommunikationsüberwachung und sonstige verdeckte Ermittlungsmaßnahmen

Die gesetzlichen Regelungen der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sollen nach der Ankündigung der Bundesregierung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer umfassenden Neuregelung unterzogen werden. Die Bundesregierung will in diesem Zusammenhang auch die europäische Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten umsetzen. Das Bundesministerium der Justiz hat zwischenzeitlich einen Referentenentwurf vorgelegt.

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder betont erneut, dass die Vorratsdatenspeicherung deutschem Verfassungsrecht widersprechen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Speicherung von Daten auf Vorrat zu nicht hinreichend bestimmbaren Zwecken verfassungswidrig. Zudem würde die für eine freiheitliche Gesellschaft konstitutive unbefangene Kommunikation erheblich beeinträchtigt. Die Konferenz fordert die Bundesregierung auf, die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zumindest solange zurückzustellen, bis der bereits angerufene Europäische Gerichtshof über deren Rechtmäßigkeit entschieden hat.

Die geplante Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung geht weit über die europarechtliche Umsetzungsverpflichtung hinaus und wäre ein zusätzlicher unverhältnismäßiger Eingriff in die Kommunikationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger. So sollen die Daten auch zur Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie mittels Telekommunikation begangener Straftaten genutzt werden. Zudem soll die Möglichkeit zur anonymen E-Mail-Kommunikation abgeschafft und die Nutzenden öffentlich zugänglicher E-Mail-Dienste sollen zur Angabe ihres Namens und ihrer Adresse verpflichtet werden. Diese Angaben sollen außerdem einer Vielzahl von Behörden zum Online-Abruf zur Verfügung gestellt werden, darunter der Polizei, den Staatsanwaltschaften, den Nachrichtendiensten, dem Zoll und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Auch dies begegnet erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken.

Zwar stärken einige der vorgesehenen Änderungen der Strafprozessordnung die rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Sicherungen bei verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen . Es besteht jedoch noch erheblicher Verbesserungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, den Schutz von Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern und die Voraussetzungen der Telekommunikationsüberwachung:

  • Mit einer erneuten Ausweitung des Straftatenkatalogs für die Telekommunikationsüberwachung würde die Tendenz zunehmender Überwachungsmaßnahmen in verstärktem Maße fortgesetzt. Der Katalog sollte deshalb mit dem Ziel einer deutlichen Reduzierung kritisch überprüft werden. Es sollten nur Straftaten aufgenommen werden, deren Aufklärung in besonderem Maße auf die Telekommunikationsüberwachung angewiesen ist, die mit einer bestimmten gesetzlichen Mindeststrafe (z. B. ein Jahr) bedroht sind und die auch im Einzelfall schwer wiegen.
  • Die vorgesehene Kernbereichsregelung ist ungenügend. Sie nimmt in Kauf, dass regelmäßig auch kernbereichsrelevante Informationen erfasst werden. Für solche Informationen muss stattdessen grundsätzlich ein Erhebungsverbot gelten. Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, die dennoch erlangt werden, müssen zudem einem absoluten Verwertungsverbot unterliegen, nicht nur für Strafverfahren.
  • Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist nicht nur in den Bereichen der Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung zu gewährleisten. Auch für alle anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen ist eine Regelung zum Schutz des Kernbereichs zu treffen.
  • Für die Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern sollte ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot geschaffen werden, das dem jeweiligen Zeugnisverweigerungsrecht entspricht. Dieses sollte unterschiedslos für alle Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger und deren Berufshelferinnen und Berufshelfer gelten. Die im Entwurf enthaltene Differenzierung zwischen bestimmten Gruppen von Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern ist sachlich nicht gerechtfertigt.
  • Für Angehörige im Sinne von § 52 StPO sollte ein Erhebungs- und Verwertungsverbot für die Fälle vorgesehen werden, in denen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht überwiegt. Die besonderen verwandtschaftlichen Vertrauensverhältnisse dürfen nicht ungeschützt bleiben.
  • Für teilnehmende Personen von Kernbereichsgesprächen, die weder Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger noch Angehörige i.S.v. § 52 StPO sind, sollte insoweit ein Aussageverweigerungsrecht aufgenommen werden. Andernfalls bleibt der Kernbereich teilweise ungeschützt.
  • Für die sog. Funkzellenabfrage, die alle Telefonverbindungen im Bereich einer oder mehrerer Funkzellen erfasst, sollten klare und detaillierte Regelungen mit engeren Voraussetzungen normiert werden. Diese sollten vorsehen, dass im Rahmen einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Anzahl der durch die Maßnahmen betroffenen unbeteiligten Dritten berücksichtigt und die Maßnahme auf den räumlich und zeitlich unbedingt erforderlichen Umfang begrenzt wird. Die Unzulässigkeit der Maßnahme zur Ermittlung von Tatzeuginnen und Tatzeugen sollte ins Gesetz aufgenommen werden.
  • Die aufgrund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft bei Gefahr in Verzug erlangten Daten dürfen nicht verwertet werden, wenn die Anordnung nicht richterlich bestätigt wird. Dieses Verwertungsverbot darf nicht – wie im Entwurf vorgesehen – auf Beweiszwecke begrenzt werden.
  • Art und Umfang der Begründungspflicht für den richterlichen Beschluss der Anordnung der Telekommunikationsüberwachung sollte wie bei der Wohnraumüberwachung im Gesetz festgeschrieben werden. Im Sinne einer harmonischen Gesamtregelung sollten darüber hinaus qualifizierte Begründungspflichten für sämtliche verdeckte Ermittlungsmaßnahmen geschaffen werden.
  • Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes ist sicherzustellen, dass sämtliche Personen, die von heimlichen Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind, nachträglich von der Maßnahme benachrichtigt werden, soweit diese bekannt sind oder ihre Identifizierung ohne unverhältnismäßige weitere Ermittlungen möglich ist und nicht überwiegende schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen. Darüber hinaus sollte bei Massendatenerhebungen über eine ergänzende Benachrichtigung durch eine öffentliche Bekanntmachung der Maßnahme nachgedacht werden.
  • Die für die Telekommunikationsüberwachung vorgesehenen Berichts- und Statistikpflichten sollten um Angaben zur Dauer der Überwachung, zur Anzahl der Gespräche und zur Benachrichtigung Betroffener ergänzt werden.
  • Die im Entwurf enthaltenen erweiterten Eingriffsgrundlagen sollten befristet und einer unabhängigen, gründlichen und wissenschaftlich unterstützten Evaluation unterzogen werden.