Stuttgart, 22. April 2008

Pressemitteilung


Erhebliche Bedenken gegen Polizeigesetznovelle
Landesbeauftragter für den Datenschutz Peter Zimmermann:
Der Entwurf muss gründlich und verfassungskonform überarbeitet werden

 

Erhebliche, teilweise verfassungsrechtlich begründete Bedenken hat der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Zimmermann, im Rahmen der Verbandsanhörung zu dem Entwurf der Landesregierung zur Änderung des Polizeigesetzes vorgetragen; der Entwurf bedürfe schon im Hinblick auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer gründlichen und verfassungskonformen Überarbeitung. „Generell wird der Entwurf zwar mit einer verbesserten Bekämpfung des (islamistischen) Terrorismus und Extremismus begründet, tatsächlich richtet er sich aber eher gegen unbescholtene Bürgerinnen und Bürger, weil er die polizeilichen Handlungsmöglichkeiten noch weiter ins Vorfeld einer konkreten Gefahr bzw. des Anfangsverdachts einer bestimmten Straftat verlagert“, erklärte Peter Zimmermann. Ähnlich wie auf Bundesebene gehe der Trend immer stärker in Richtung einer anlass- und verdachtslosen Datenerhebung. Beispiele hierfür sind nach den Worten des Landesdatenschutzbeauftragten die geplante Videoüberwachung öffentlicher Veranstaltungen und Ansammlungen unter Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel, der Einsatz von Automatischen Kennzeichenlesesystemen bei Kontrollen im öffentlichen Verkehrsraum und die Datensammelwut selbst bei Bagatelldelikten. Der verfassungsrechtlich gebotene Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Einzelnen und dem Eingreifen der Polizei werde auf diese Weise immer weiter gelockert. Peter Zimmermann: „Ich halte diesen Trend für verhängnisvoll: Statt sich angesichts der terroristischen Bedrohung und der knappen personellen Ressourcen der Polizei auf das Wesentliche zu konzentrieren, werden die polizeilichen Befugnisse zur Erhebung und weiteren Verarbeitung von Daten immer weiter ausgebaut. Offenbar wird lieber nach dem Motto ‚Viel hilft viel‘ verfahren. Statt nüchtern zu prüfen, welcher Sicherheitsgewinn mit neuen Befugnissen in der Vergangenheit wirklich erzielt wurde, wird ständig oben drauf gepackt. Die Landesregierung sollte zumindest die fachliche Notwendigkeit für die vorgeschlagenen Änderungen mit Fakten unterlegen, statt den ‚Kampf gegen den Terror‘ auf der Behauptungsebene zu führen.“

Folgende Punkte hat der Landesdatenschutzbeauftragte in seiner Stellungnahme gegenüber der Landesregierung besonders hervorgehoben:

  • Ausbau der polizeilichen Videoüberwachung: Der Änderungsentwurf sieht erweiterte Möglichkeiten zum offenen Einsatz technischer Mittel zur Bild- und Tonaufzeichnung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsrecht unterliegen, vor. Als Beispiele werden in der Gesetzesbegründung Volksfeste und die sog. Public-Viewing-Veranstaltungen während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 genannt. Während sich die polizeiliche Videoüberwachung bisher nur gegen Personen richten durfte, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sie dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung begehen werden, soll die Videoüberwachung mit Bild- und Tonaufzeichnungen nunmehr bereits dann zulässig sein, soweit dies zur Erfüllung von Aufgaben nach der polizeilichen Generalklausel, also bereits bei Bedrohung oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, erforderlich ist. Peter Zimmermann: „Die vorgesehene Regelung geht damit über vergleichbare Regelungen anderer Bundesländer hinaus. In Anbetracht der wenig präzisen Aufgabenbeschreibung bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung im Hinblick auf ihre Transparenz, Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit erhebliche Bedenken. Im Ergebnis wäre nach der neuen Regelung sogar die Videoüberwachung einer zufälligen Menschenansammlung wegen eines Straßenmusikanten in einer Fußgängerzone oder die Videoüberwachung eines Popkonzerts zulässig, um nachträglich feststellen zu können, wer seinen Abfall nicht ordnungsgemäß entsorgt hat.“ Der Landesdatenschutzbeauftragte erinnerte an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 2007 (1 BvR 2368/06), in dem das Gericht im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Erfordernis der Bestimmtheit einer Norm erneut betont habe, dass Entscheidungen über die Grenzen der Freiheit nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt werden dürften. Vielmehr müsse die Verwaltung in den Gesetzen selbst steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden, die unabhängig von einer späteren gerichtlichen Kontrolle ermöglichen, dass der Bürger den Eingriff vorhersehen und sich darauf einstellen kann. Dies sei bei der weiten Aufgabenbeschreibung der polizeilichen Generalklausel nicht der Fall; sie könne daher nicht als hinreichende Befugnisnorm für die polizeiliche Videoüberwachung angesehen werden.
  • Verdeckte automatische Kennzeichenkontrolle: Durch den Gesetzentwurf soll der Polizeivollzugsdienst die Möglichkeit erhalten, bei Kontrollen im öffentlichen Verkehrsraum verdeckt Automatische Kennzeichenlesesysteme (AKLS) zum Abgleich mit dem Fahndungsbestand einzusetzen. Der Entwurf ist nach Meinung von Peter Zimmermann in diesem Punkt klar verfassungswidrig: „Was die Landesregierung hier plant, ist weitgehend mit der schleswig-holsteinischen Regelung identisch, die das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 11. März 2008 für nichtig erklärt hat. Anlass und Verwendungszweck der automatisierten Kennzeichenerhebung sind auch in Baden-Württemberg bisher viel zu unbestimmt geregelt. Wie der Innen- und der Justizminister öffentlich äußern konnten, der baden-württembergische Entwurf sei mit den verfassungswidrigen Regelungen anderer Länder nicht vergleichbar, weil hier keine flächendeckenden Kontrollen geplant seien und ‚Nicht-Treffer‘ gleich gelöscht würden, ist für mich nicht nachvollziehbar. Eben diese Anforderungen hatte Schleswig-Holstein sogar ausdrücklich ins Gesetz geschrieben.“ Zur Erläuterung merkte der Landesdatenschutzbeauftragte an, dass der Fahndungsbestand der Polizei nicht nur gestohlene Fahrzeuge und flüchtige Verbrecher enthalte, sondern dass darin auch eine Vielzahl von Personen aufgenommen werde, bei denen die Polizei nur den jeweiligen Aufenthaltsort feststellen und damit ein Bewegungsbild erstellen wolle. In Anbetracht des erheblichen Grundrechtseingriffs der Maßnahme könne der Einsatz der AKLS nur unter engen Voraussetzungen zulässig sein. Das Bundesverfassungsgericht habe verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine verfassungskonforme Lösung aussehen kann.
  • Verdeckter Einsatz von Ortungsgeräten: Der Gesetzentwurf sieht zur Abwehr einer drohenden erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten eine neue Befugnis zum verdeckten Einsatz von Ortungsgeräten vor, um festzustellen, wo sich eine Person oder Sache gerade befindet. Hierzu der Landesdatenschutzbeauftragte: „Dass die Polizei notfalls gegen Verbrecher Peil- und Ortungsgeräte einsetzen will, ist nachvollziehbar. Die Eingriffsschwelle ist jedoch zu niedrig; nach dem Entwurf reichen einfache Straftaten für den Einsatz bereits aus. Ich bin der Meinung, dass der Grundrechtseingriff beim Einsatz von Ortungsgeräten erheblich ist, ähnlich wie bei der ständigen Observation. Als Voraussetzung sollten daher – wie in anderen Bundesländern oder wie für vergleichbare Maßnahmen nach der Strafprozessordnung üblich – zumindest Straftaten von erheblicher Bedeutung drohen. Außerdem sollte die Maßnahme auf potenzielle Straftäter und deren Kontakt- oder Begleitpersonen beschränkt werden.“
  • Heimliche Erhebung von Verkehrsdaten der Telekommunikation: Die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit zur heimlichen Erhebung von Verkehrsdaten der Telekommunikation kann nach Meinung des Landesdatenschutzbeauftragen zu bedenklichen Überschneidungen mit den bundesrechtlichen Kompetenzen zur Strafverfolgung führen. Daher solle – wie in einigen anderen Bundesländern auch (z. B. Niedersachsen, Schleswig-Holstein) – auf den Zweck der vorbeugenden Straftatenbekämpfung bei der Erhebung von Verkehrsdaten verzichtet werden. Zudem solle die im Gesetzentwurf enthaltene Möglichkeit zur Kommunikationsunterbrechung restriktiver ausgestaltet werden. Erfreulich sei immerhin, so Peter Zimmermann, dass der Gesetzentwurf keine Befugnis zur präventiven Kontrolle der Kommunikationsinhalte vorsieht und auch auf die vom Bundesverfassungsgericht problematisierte Online-Durchsuchung verzichtet. Allerdings müsse der Gesetzentwurf generell auf seine Vereinbarkeit mit dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts überprüft werden; schließlich habe das Gericht darin ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme entwickelt. Dieser Gewährleistungsanspruch führe nach der vorläufigen Einschätzung des Landesdatenschutzbeauftragten dazu, dass nicht nur bei der heimlichen Infiltration, sondern auch bei anderen Formen des polizeilichen Zugriffs (z. B. bei der Beschlagnahme eines Computers) die Vertraulichkeit und Integrität des informationstechnischen Systems eines Betroffenen zu beachten seien.
  • Erleichterte Datenspeicherung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung: Die Polizei
    darf zurzeit Informationen aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zum Zweck der vorbeugenden Straftatenbekämpfung speichern, wenn der Betroffene einer Straftat verdächtig ist und wenn anhand tatsächlicher Anhaltspunkte absehbar ist, dass er wieder straffällig werden könnte (Wiederholungsgefahr). Nunmehr soll grundsätzlich die Prognose der Wiederholungsgefahr entfallen und eine vorsorgliche Speicherung des Betroffenen für die Dauer von zunächst zwei Jahren als sog. Prüffall erfolgen. Hierzu Peter Zimmermann: „Die Neuregelung stellt alle, gegen die überhaupt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren betrieben wird, für zwei Jahre unter den Generalverdacht, dass sie wieder straffällig werden. Die bisher erforderliche Prognose der Wiederholungsgefahr im Einzelfall trug dem Umstand Rechnung, dass die Datenspeicherung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung erforderlich sein musste. Diese Erforderlichkeit ist begrifflich nicht gegeben, wenn aus dem Verhalten des Betroffenen überhaupt kein Schluss auf seine künftige Straffälligkeit abgeleitet werden kann. Insofern ist die neue Regelung widersprüchlich und verstößt gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Streng genommen müssten nun sogar Fahrlässigkeitsdelikte gespeichert werden. Die Gesetzesänderung verkennt auch völlig die Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte bei Bagatelldelikten: Entsprechende Ermittlungsverfahren werden in der Regel formularmäßig eingestellt; bei Antragsdelikten erfolgt dann zugleich ein Verweis des Anzeigeerstatters auf den Privatklageweg. Der Betroffene kann gegen die Einstellungsentscheidung auch kein Rechtsmittel einlegen, damit in der Begründung – wie das neue Gesetz es fordert – ausdrücklich seine ‚Unschuld‘ bescheinigt wird. Wenn die Polizei schon die ersten Bagatelldelikte ohne Rücksicht auf die Negativprognose speichern darf, so geht diese Datensammelwut viel zu weit; der Wert einer derartigen Datensammlung wird völlig überschätzt. Die Polizei sollte viel eher Schwerpunkte setzen und die Bagatellkriminalität nur für statistische Zwecke erfassen. Weniger wäre hier mehr.“
  • Gemeinsame projektbezogene Dateien von Polizei und Verfassungsschutz auf Landesebene: Der Gesetzentwurf will projektbezogene gemeinsame Dateien von Polizei und Verfassungsschutz nach dem Muster der Antiterrordatei ermöglichen. Landesdatenschutzbeauftragter Peter Zimmermann bezweifelt den Bedarf für eine isolierte Landesregelung: „Auf Bund-Länder-Ebene gibt es bereits eine Reihe von Datenverbundsystemen für Polizei und Verfassungsschutz, nicht zuletzt in Form der Antiterrordatei; ich vermag nicht zu erkennen, dass daneben eine nur auf das Land bezogene gemeinsame Projektdatei nötig ist. Schließlich ist kaum anzunehmen, dass die dort zu erfassenden Personen an der Landesgrenze halt machen werden. Außerdem wird durch eine solche Datei das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz weiter durchlöchert. Die Antiterrordatei wird derzeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft; der Ausgang dieses Verfahrens sollte zunächst abgewartet werden.“
  • Evaluierung der Gesetzesänderungen: Die geplante Befugnis zur Erhebung von Verkehrsdaten soll spätestens drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten evaluiert werden. Der Landesdatenschutzbeauftragte begrüßt dieses Vorhaben, hält es aber für ausbaufähig: „Zum einen sollte bei der Bewertung der Wirksamkeit der Regelung externer wissenschaftlicher Sachverstand zu Rate gezogen werden; das sorgt für mehr Objektivität. Zum andern enthält der Gesetzentwurf weitere neue Eingriffsbefugnisse, die sich ebenfalls gut für eine Evaluierung eignen. Außerdem sollten die neuen Regelungen von vornherein zeitlich befristet werden“, meinte Peter Zimmermann abschließend.