Stuttgart, 30. September 2008

Pressemitteilung


Videoüberwachung bedarf gesetzlicher Grundlage
Bundesverfassungsgericht ernst nehmen

 

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Zimmermann, sah sich nach einer Überprüfung der Videoüberwachungspraxis an Mannheimer Schulen zu einer grundsätzlichen Klarstellung veranlasst. Grund hierfür ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 2007.

Das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit festgestellt, dass eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte und Einrichtungen – jedenfalls wenn das gewonnene Bildmaterial aufgezeichnet wird – nicht auf allgemeine datenschutzgesetzliche Regelungen gestützt werden könne. Wegen des mit einer solchen Überwachung einhergehenden erheblichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seien vielmehr spezielle gesetzliche Regelungen erforderlich, die Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs präzise und normenklar festlegen. Solche speziellen gesetzlichen Regelungen gibt es für öffentliche Stellen in Baden-Württemberg lediglich im Polizeibereich. In allen anderen Tätigkeitsbereichen der öffentlichen Verwaltung (etwa für Schulen und andere kommunale Einrichtungen, Universitäten usw.) fehlen im Land entsprechende gesetzliche Spezialbestimmungen.

Peter Zimmermann: „Dies bedeutet, dass der Betrieb von Videoüberwachungsanlagen durch öffentliche Stellen – sofern mit einer Aufzeichnung des Bildmaterials verbunden – außerhalb des polizeilichen Bereichs in jedem Fall rechtswidrig ist. Will man Videoüberwachung auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung zulassen, muss der Landtag dafür erst die Grundlage schaffen.“ Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei zwar zu einem Sachverhalt in Bayern ergangen; wegen der Vergleichbarkeit der Rechtslage in beiden Ländern seien die Erkenntnisse des Gerichts jedoch auch voll auf Baden-Württemberg übertragbar. Dies bedeute, dass in jedem Fall Videoüberwachungsanlagen mit Aufzeichnungsmöglichkeit, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ohne spezielle gesetzliche Grundlage installiert worden sind, sofort abzuschalten seien.

Für zu diesem Zeitpunkt bereits eingerichtete Videoüberwachungen könne man sich eine Übergangslösung vorstellen, die dem Umstand Rechnung trägt, dass die Rechtspraxis vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Überwachung auch auf Grund allgemeiner datenschutzgesetzlicher Regelungen zugelassen hat. Hierzu der Landesbeauftragte: „Die Übergangsfrist, in der solche Altanlagen noch toleriert werden könnten, kann aber nicht mehr allzu lange dauern. Das Jahresende 2008 halte ich für eine noch hinnehmbare, aber auch ausreichende Frist, in der der Landtag eine eindeutige gesetzliche Regelung treffen müsste.“ Geschehe dies nicht, müssten nach seiner Auffassung auch die in Betrieb befindlichen Altanlagen abgeschaltet werden. Dies gebiete der Respekt vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Im Übrigen könne eine solche Übergangslösung für Altanlagen auch nicht voraussetzungslos in Anspruch genommen werden. Ein rechtmäßiger Betrieb von Videoüberwachungsanlagen verlange vielmehr, dass die Erforderlichkeit einer Videoüberwachung gründlich untersucht und alternative Lösungsmöglichkeiten sorgfältig geprüft werden. Es seien dann die Maßnahmen zu wählen, die mit den geringsten Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verbunden sind, was nach Zimmermann auch dazu führen könne, dass auf eine Videoüberwachung gänzlich zu verzichten ist. Außerdem müssten die Überwachungsbereiche deutlich kenntlich gemacht werden.

Zu Mannheim hat die Prüfung durch den Landesbeauftragten ergeben, dass dort insgesamt an 17 Schulen videoüberwacht wird. Eine einheitliche Linie, welche Schulbereiche überwacht werden und wie lange das Bildmaterial gespeichert werde, gebe es offensichtlich nicht. Die Stadt Mannheim sei von ihm aufgefordert worden, entsprechend den oben aufgeführten Grundsätzen zu verfahren. Zimmermann äußerte erhebliche Zweifel daran, ob die Erforderlichkeit einer Videoüberwachung in jedem Fall hinreichend belegt ist: „Die Einrichtung einer Videoüberwachung darf nicht nur an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ausgerichtet sein, sondern es muss gründlich abgewogen werden, ob das Interesse an einer Videoüberwachung die rechtlichen Interessen der von der Beobachtung Betroffenen wirklich überwiegt.“ Allgemein wies der Landesbeauftragte darauf hin, dass es in jedem Fall verfehlt sei, die Videoüberwachung als Allheilmittel für alle Lebenslagen zu verstehen; die Wirksamkeit einer Videoüberwachung werde häufig überschätzt. Schon gar nicht dürfe Videoüberwachung als Placebo verabreicht werden, das nur eine vermeintliche und damit trügerische Sicherheit suggeriere.