Datenschutz als Kulturaufgabe
Kunst und Kultur können Praktiken vermitteln, mit denen wir uns als Gesellschaft mit den neuen Formen digitaler Wirklichkeitsherstellung selbstbewusst, aufgeklärt und selbstbestimmt erproben können.
Kulturtechniken des Digitalen
Der Umgang mit den eigenen persönlichen Daten im Digitalzeitalter ist eine verhältnismäßig junge Kulturtechnik. Sie hat sich deutlich langsamer als die ökonomische Technik der Verwertung von personenbezogenen Daten entwickelt. Je weiter die Digitalisierung voranschreitet – und unter Corona hat sie, man möchte sagen: auch in „letzten“ Lebensbereichen einen Schub bekommen – umso stärker hat sich der Datenschutz genau auf diesem Gebiet zu bewähren; er verändert, so wie die Gesellschaft insgesamt, rasant sein Gesicht.
Kulturtechniken des Digitalen
Der Umgang mit den eigenen persönlichen Daten im Digitalzeitalter ist eine verhältnismäßig junge Kulturtechnik. Sie hat sich deutlich langsamer als die ökonomische Technik der Verwertung von personenbezogenen Daten entwickelt. Je weiter die Digitalisierung voranschreitet – und unter Corona hat sie, man möchte sagen: auch in „letzten“ Lebensbereichen einen Schub bekommen – umso stärker hat sich der Datenschutz genau auf diesem Gebiet zu bewähren; er verändert, so wie die Gesellschaft insgesamt, rasant sein Gesicht.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung setzt zunehmend auch technisches Wissen voraus, Datenschutz als Kulturaufgabe möchte Kulturtechniken des Digitalen vermitteln: Was brauche ich an technischen Skills, um mein Verhalten im Netz selbstbewusst und selbstbestimmt zu gestalten?
Gleichzeitig leben wir in einer stark durchästhetisierten Gesellschaft. Die Möglichkeiten, sich in digitalen Medien zu inszenieren, sind enorm und werden virtuos genutzt – und sie gehorchen ästhetischen Regeln. Jede_r Einzelne kann Erzählungen von sich und Bildstrecken mit hoher Reichweite veröffentlichen. Die Strategien dazu sind an künstlerisch-narrativen Techniken orientiert – doch oft sind sich die Beteiligten dieser Techniken nicht bewusst und wissen nicht um ihre Potenziale, Regeln und Risiken. Auch hier setzen Kulturtechniken des Digitalen an: Gibt es im übertragenen Sinn „Grammatiken“ für die neuen Kommunikationsformen, mit denen sich jede Person, die diese selbstbestimmt nutzen möchte, beschäftigen sollte – sei sie Datenkonsument_in oder Datenproduzent_in?
Information und Narration
Ein weiterer Gedanke gilt einem merkwürdigen Paradox. Einerseits scheinen wir in einer Gegenwart zu leben, die auf den ersten Blick stark an Sachlichkeit und technischen Paradigmen orientiert ist: in einer Wissensgesellschaft, in der Informationen und Informationsverarbeitung zählen. Auf der anderen Seite sind aber Informationen, news sehr stark in einer narrativen, und man könnte sagen, ästhetisierten Form aufbereitet: Sie sollen – Stichwort Aufmerksamkeitsökonomie – Emotionen ansprechen und so zu einem bestimmten Netzverhalten animieren. Digitale Logiken sind für diesen Trend zum Treiber geworden. Wie das handwerklich genau gemacht wird, dafür sind wiederum die schönen Künste Spezialisten und gute Ratgeber – um Dinge einzuordnen, und um die Strategien, wie sie uns „erzählt werden“, zu verstehen: Was steckt genau steckt drin an gestalterischem und dramaturgischen know-how in den timelines von social media und Co.?
Wenn Kunst und Kultur der Ort sind, an welchem sich Gesellschaften mit sich selbst beschäftigen, Grundlagen der „harten Fakten“ auf den Prüfstand stellen und Zukunftsentwürfe einmal „folgenlos“ durchspielen, so bringen uns Kunst und Kultur zum scheinbar Selbstverständlichen und Unhinterfragbaren produktiv auf Distanz und lassen unseren Möglichkeitssinn tanzen. Diesen Kompetenzen von Kunst und Kultur kommt besonders in Bezug auf die oft als alternativlos empfundenen Wirklichkeiten des Digitalen ein hoher Wert zu.
Wer hat Zugang und zu welchem Preis?
Wer aber hat überhaupt Zugang zu den neuen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten des Digitalen, und zu welchem Preis? Was spätestens ab Mitte der 70er Jahre in privaten gesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Initiativen frei, offen und bunt in den berühmten Garagen-Start-ups seinen Ausgang genommen hat, ist einerseits längst zu einer Art zweitem öffentlichen Raum von globaler Reichweite geworden. Auf die Phase des freien Experimentierens folgte jedoch rasch ein starker Ökonomisierungs- und v.a. Monopolisierungsprozess. Und so bestimmen inzwischen einige wenige Tech-Firmen weitgehend über die Zugangsregeln zu diesem öffentlichen Raum. Die Spielregeln auf dem Marktplatz der Meinungen, Debatten und Informationen, um eigene Sichtbarkeit herzustellen, sich zu vernetzen und nicht zuletzt weltumspannend zu kommunizieren, unterstehen mit anderen Worten den Allgemeinen Geschäftsbedingungen dieser player. Meistens, und hier wird es für den Datenschutz interessant, „bezahlen“ wir den Zutritt zur Infrastruktur der besuchten Plattformen mit unseren eigenen Daten, und oft auch mit den Daten unseres „Netzwerkes“.
Ein öffentlicher Raum sollte aber, so die bürgerrechtliche Überzeugung vieler und immer lauter werdender Stimmen, von denen, die ihn benutzen, auch in seinem Regelwerk mitgestaltet werden. Die Frage, wie wir unsere digitale Zukunft gestalten, sollte gesellschaftlich beantwortet werden, wenn es seine nachhaltige Antwort sein will. Wir Bürgerinnen und Bürger können uns dieser Zukunft aktiv widmen: Welche Möglichkeiten und Freiräume wünschen und erstreiten wir uns – und unter welchen Spielregeln? Wie lässt sich unser Bedürfnis nach Freiheit und Sicherheit so ausbalancieren, dass Bürgerrechte gewahrt bleiben? Und wie lernen die Jüngsten, für die die Trennung von analog und digital längst obsolet scheint, mit den medialen Mechaniken nicht nur technisch versiert, sondern selbst-bestimmt und mit Abstandsvermögen umzugehen?
Raus aus der eigenen Blase
Im Bereich „Datenschutz als Kulturaufgabe“ des LfDI möchten wir mit Menschen ins Gespräch kommen, die an diesen und ähnlichen Fragen dran sind. Und wir möchten die Aufsichtsbehörde öffnen – für Sie, für die wir täglich arbeiten, und umgekehrt auch für uns: Heraus aus der eigenen Blase!
Dazu nehmen wir uns Kooperationen vor und Gespräche, Bildungsformate und: Kunst. Denn so, oder so ähnlich, sagte es Marschall McLuhan, ein Medientheoretiker, der aktueller nicht sein könnte, vor mehr als einem halben Jahrhundert: Kunst sei in der Lage, „zukünftige soziale und technologische Entwicklungen zu antizipieren“, ein „Frühwarnsystem“; sie übernehme „als Radar die Funktion eines unverzichtbaren Wahrnehmungstrainings“. (Zit. nach Hans Ulrich Obrist: Das Unsichtbare sichtbar machen: Kunst trifft auf KI / New Experiments in Arts and Technology, Vorlesung an der Saas Fee Academy 2018.)
Zu den Aufgaben
einer Aufsichtsbehörde gehört es nach Artikel 57 der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO), die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz zu überwachen und durchzusetzen sowie eingehende Beschwerden zu bearbeiten.
Gleichzeitig gehört dazu auch, die Öffentlichkeit zu beraten, zu informieren, zu sensibilisieren und aufzuklären. Der Gesetzgeber fordert hierfür außerdem spezifische Maßnahmen für Kinder.
Hieraus leitet sich der Auftrag, Datenschutz als Kulturaufgabe zu verstehen, unmittelbar ab: die Behörde soll sensibilisieren und aufklären und spezifische Programme für Kinder entwickeln. Wie könnten wir das besser, als wenn mit wir mit Methoden der Kunst und der kulturellen Bildung arbeiten?
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den Aufsichtsbehörden in Artikel 57 DS-GVO aufgetragen, die maßgeblichen Entwicklungen zu verfolgen, soweit sie sich auf den Schutz personenbezogener Daten auswirken, insbesondere die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Geschäftspraktiken.
Diesen Auftrag verstehen wir so, dass wir uns als Behörde auch in einem allgemeineren, diskursiven Sinn mit den gesellschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, die durch die Digitalisierung der Gesellschaft oder durch die Verbreitung intelligenter künstlicher Systeme die gegenwärtigen und zukünftigen Lebenswirklichkeiten prägend bestimmen, mit dem Ziel, uns als Gesellschaft darüber aufzuklären, welche Bedeutung bei dieser Entwicklung dem Schutz personenbezogener Daten zukommt.