Anlage zur Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zur gesetzlichen Regelung von genetischen Untersuchungen vom 24./25. Okt. 2001

Vorschläge zur Sicherung der Selbstbestimmung bei genetischen Untersuchungen

Allgemeines

Gegenstand

Zu regeln ist die Zulässigkeit genetischer Untersuchungen beim Menschen, der Umgang mit Proben und die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung genetischer Daten. Neben allgemeinen Regelungen sind besondere Bestimmungen zu genetischen Untersuchungen

  1. zu medizinischen Zwecken
  2. im Zusammenhang mit Arbeits- und Versicherungsverhältnissen
  3. zur Abstammungsklärung und Identifizierung außerhalb der Strafverfolgung
  4. zu Forschungszwecken

zu treffen.

Ziel, Benachteiligungsverbot

(1) Ziel der Regelungen ist der Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der informationellen Selbstbestimmung der Betroffenen bei genetischen Untersuchungen.

(2) Niemand darf wegen seiner Erbanlagen oder wegen der Weigerung, eine genetische Untersuchung bei sich durchführen zu lassen, benachteiligt werden.

Begriffe

  • Genetische Untersuchungen:
    1. Untersuchungen auf Chromosomen-, Genprodukt- oder molekularer DNS-/RNS-Ebene, die darauf abzielen, Informationen über das Erbgut zu erhalten;
  • Prädiktive Untersuchungen:
    1. vor- oder nachgeburtliche genetische Untersuchungen mit dem Ziel, Erbanlagen einer Person, insbesondere Krankheitsanlagen vor dem Auftreten von Symptomen oder einen Überträgerstatus, zu erkennen;
  • Überträgerstatus:
    1. Erbablagen, die erst in Verbindung mit entsprechenden Erbanlagen eines Partners oder einer Partnerin eine Krankheitsanlage bei den gemeinsamen Nachkommen ausbilden;
  • Pränatale Untersuchungen:
    1. vorgeburtliche genetische Untersuchungen mit dem Ziel, während der Schwangerschaft Informationen über das Erbgut des Embryos oder des Fötus zu gewinnen;
  • Reihenuntersuchung:
    1. genetische Untersuchungen, die systematisch der gesamten Bevölkerung oder bestimmten Gruppen der Bevölkerung angeboten werden, ohne dass bei den Betroffenen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gesuchten Erbanlagen bei ihnen vorhanden sind;
  • Diagnostische genetische Untersuchungen:
    1. genetische Untersuchungen zur Abklärung der Diagnose einer manifesten Erkrankung oder zur Vorbereitung oder Verlaufskontrolle einer Behandlung;
  • Probe:
    1. die für eine genetische Untersuchung vorgesehene oder genutzte biologische Substanz;
  • Genetische Daten:
    1. im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen erlangte Informationen über eine Person;
  • Betroffene Person:
    1. die Person, von der eine Probe vorliegt oder deren genetische Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden; bei pränatalen Untersuchungen auch die schwangere Frau;
  • Verarbeiten:
  1. das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen erhobener personenbezogener genetischer Daten.

Zulässigkeit genetischer Untersuchungen

Genetische Untersuchungen, der Umgang mit Proben und die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung genetischer Daten bedürfen der freiwilligen, schriftlichen Einwilligung der betroffenen Person nach Aufklärung. Vorbehalten bleiben die in einem Gesetz über genetische Untersuchungen zu regelnden und in der Strafprozessordnung geregelten Ausnahmen.

Zulassung zur Durchführung genetischer Untersuchungen

(1) Wer genetische Untersuchungen durchführen will, bedarf hierfür der Zulassung durch die zuständige Aufsichtsbehörde des Landes.

(2) Die Zulassung wird erteilt, wenn Gewähr dafür besteht, dass

  • die Untersuchungen und ihre Auswertungen sorgfältig und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchgeführt werden,
  • die Regelungen gemäß diesen Vorschlägen eingehalten, insbesondere Information und Beratung der betroffenen Person und die Datensicherheit gewährleistet werden und
  • in der antragstellenden Person die berufsrechtlichen und gewerberechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

(3) Das Nähere regelt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung.

Inverkehrbringen genetischer Tests und Angebote von genetischen Untersuchungen

Genetische Testverfahren dürfen nur für den Gebrauch durch Ärztinnen, Ärzte oder Labors eingeführt oder in Verkehr gebracht werden. Das öffentliche Angebot, genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken ohne individuelle Beratung der betroffenen Person durchzuführen, ist unzulässig. Die Berufsfreiheit, Artikel 12 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz, wird insoweit eingeschränkt.

Zweckbindung

Die für die genetische Untersuchung vorgesehene oder genutzte Probe und die genetischen Daten dürfen nur für den Zweck verwandt und für die Dauer aufbewahrt werden, zu denen die betroffene Person ihre Einwilligung erklärt hat oder zu denen ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde eine Anordnung getroffen hat. Vorbehalten bleiben die in einem Gesetz über genetische Untersuchungen geregelten Ausnahmen.

Datensicherheit

(1) Proben und genetische Daten sind vor dem Zugriff unbefugter Dritter wirksam zu schützen. Dies gilt auch in Bezug auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der untersuchenden und datenverarbeitenden Stelle, die an der genetischen Untersuchung, Aufklärung und Beratung nicht beteiligt sind oder waren.

(2) Genetische Daten sind von anderen Datenarten gesondert zu speichern.

(3) Im Übrigen gilt hinsichtlich der genetischen Daten die Bestimmung des Bundesdatenschutzgesetzes über die technischen und organisatorischen Maßnahmen der Datensicherheit in der jeweils geltenden Fassung.

Einsichts- und Auskunftsrecht

Die betroffene Person hat das Recht, unentgeltlich Einsicht in die Dokumentationen zur genetischen Untersuchung einschließlich Aufklärung und Beratung zu nehmen und Auskunft über die zu ihr gespeicherten Daten zu verlangen.

 
Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken

Grundsatz

(1) Zu medizinischen Zwecken dürfen prädiktive Untersuchungen nur durchgeführt werden, wenn sie nach ärztlicher Indikation der Vorsorge, der Behandlung oder der Familienplanung der betroffenen Person dienen.

(2) Eine genetische Untersuchung zum Erkennen eines Überträgerstatus ist nur zu Zwecken der konkreten Familienplanung zulässig.

(3) Für diagnostische genetische Untersuchungen gelten nur die Anforderungen gemäß dem Arztvorbehalt (siehe unten) und an diagnostische genetische Untersuchungen bei behinderten Personen (siehe am Ende dieses Abschnitts).

Pränatale Untersuchungen

Pränatale Untersuchungen sind auf das Erkennen solcher Krankheiten zu richten, die vorgeburtlich behandelt werden können. Für darüber hinausgehende genetische Untersuchungen gelten die Richtlinien der Bundesärztekammer zur pränatalen Diagnostik. Das Geschlecht darf gezielt nur zu medizinischen Zwecken festgestellt werden.

Ob darüber hinaus auch schwere Behinderungen und Anlagen für schwere, nicht behandelbare Krankheiten Ziele pränataler DNA-Untersuchungen sein dürfen, muss der gesellschaftspolitischen Diskussion, der fachmedizinischen Bewertung und der Verantwortung des Gesetzgebers überlassen bleiben.

Genetische Untersuchungen bei Minderjährigen und nicht einsichtsfähigen Erwachsenen

(1) Genetische Untersuchungen bei Minderjährigen sind nur zulässig, wenn ihre Durchführung vor Erreichen der Volljährigkeit erforderlich ist, um den Ausbruch einer Krankheit zu vermeiden oder zu verzögern, eine Heilung oder Verlaufsmilderung zu erreichen oder spätere besonders belastende Untersuchungen zu vermeiden. Bei Aufklärung, Beratung und Einwilligung (siehe unten) ist die Einsichtsfähigkeit der betroffenen minderjährigen Person zu berücksichtigen.

(2) Prädiktive Untersuchungen bei nicht einsichtsfähigen Erwachsenen dürfen sich nur auf das Erkennen von Krankheiten richten, deren Ausbruch vermieden oder verzögert oder bei denen eine Heilung oder Verlaufsmilderung erreicht werden kann. Die Einwilligung obliegt dem gesetzlichen Vertreter.

Reihenuntersuchungen

(1) Genetische Reihenuntersuchungen bedürfen der Zulassung durch die zuständige Landesbehörde.

(2) Voraussetzung für die Zulassung ist, dass

  • die Reihenuntersuchung gerichtet ist auf das Erkennen von verbreiteten oder schweren Krankheiten, die unverzüglich nach dem Untersuchungsergebnis behandelt werden können, oder von Krankheiten, deren Ausbruch verhindert werden kann,
  • die Untersuchungsmethode eindeutige Ergebnisse liefert,
  • die Freiwilligkeit der Teilnahme und die genetische Beratung gewährleistet und
  • der Datenschutz gesichert ist.

Arztvorbehalt

(1) Prädiktive Untersuchungen dürfen nur von Fachärztinnen und Fachärzten für Humangenetik veranlasst werden. Diagnostische genetische Untersuchungen dürfen auch von anderen zur Berufsausübung zugelassenen Ärztinnen und Ärzten veranlasst werden.

(2) Die veranlassende Ärztin oder der veranlassende Arzt hat die Aufklärung und Beratung (siehe nachstehend) und die Einholung und Dokumentation der Einwilligung (siehe unten) sicherzustellen.

Aufklärung und Beratung

(1) Vor und nach einer prädiktiven genetischen Untersuchung ist die betroffene Person umfassend aufzuklären und zu beraten, um ihr eine selbstbestimmte Entscheidung gemäß den Anforderungen an die Einwilligung (siehe unten) zu ermöglichen.

(2) Die betroffene Person und gegebenenfalls ihr gesetzlicher Vertreter muss insbesondere aufgeklärt werden über

  • Ziel, Art, Aussagekraft und Risiko der Untersuchung und die Folgen ihrer Unterlassung,
  • mögliche, auch unerwartete Ergebnisse der Untersuchung,
  • mögliche Folgen des Untersuchungsergebnisses, einschließlich physischer und psychischer Belastungen der betroffenen Person oder ihrer Familie,
  • Behandlungsmöglichkeiten für die gesuchte Krankheit,
  • den geplanten Umgang mit der Probe und den genetischen Daten einschließlich des Orts und der Dauer der Aufbewahrung bzw. Speicherung,
  • die Einflussmöglichkeiten und Datenschutzrechte der betroffenen Person,
  • weitere Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten.

(3) Aufklärung und Beratung dürfen nur der individuellen und familiären Situation der betroffenen Person und den möglichen psychosozialen Auswirkungen des Untersuchungsergebnisses auf sie und ihre Familie Rechnung tragen.

(4) Bei Reihenuntersuchungen kann in begründeten Ausnahmefällen die Aufklärung in standardisierter Form erfolgen, wenn zugleich die Möglichkeit einer zusätzlichen individuellen Beratung angeboten wird.

(5) Bei pränatalen Untersuchungen ist der Partner der betroffenen Frau in die Beratung einzubeziehen, sofern die Frau einwilligt. Auf Stellen der Schwangerschaftskonfliktberatung ist hinzuweisen.

(6) Bei genetischen Untersuchungen zum Erkennen eines Überträgerstatus soll der Partner oder die Partnerin der betroffenen Person in die Aufklärung und Beratung einbezogen werden.

Einwilligung

(1) Nach der Aufklärung und Beratung entscheidet die betroffene Person nach angemessener Bedenkzeit in freier Selbstbestimmung darüber,

  • ob die genetische Untersuchung durchgeführt werden soll,
  • welches Ziel die genetische Untersuchung hat,
  • ob sie auch unvermeidbare weitere Untersuchungsergebnisse zur Kenntnis nehmen will,
  • wie gegebenenfalls mit der Probe und den genetischen Daten weiter verfahren werden soll.

Soweit die betroffene Person vom Ergebnis, auf das die Untersuchung zielt, keine Kenntnis nehmen will, soll außer bei Reihenuntersuchungen grundsätzlich auf die genetische Untersuchung verzichtet werden.

(2) Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter hat die vorherige Aufklärung und Beratung schriftlich zu bestätigen und die Einwilligung in die genetische Untersuchung und in den vereinbarten Umgang mit der Probe und den genetischen Daten schriftlich zu erklären.

(3) Die Einwilligung kann widerrufen werden mit der Folge, dass noch nicht erfolgte Maßnahmen unterbleiben, schon vorliegende Proben vernichtet und die im Zusammenhang mit der Untersuchung erhobenen und gespeicherten Daten gelöscht werden.

Unterrichtung über das Untersuchungsergebnis

(1) Die veranlassende Ärztin oder der veranlassende Arzt teilt das Ergebnis der genetischen Untersuchung nur der betroffenen Person, bei Minderjährigen auch oder nur ihrem gesetzlichen Vertreter mit und berät über die möglichen Folgen und Entscheidungsalternativen.

(2) Ist das Ergebnis nach ärztlicher Erkenntnis auch für Verwandte der betroffenen Person von Bedeutung, hat die Ärztin oder der Arzt bei der nachgehenden Beratung der betroffenen Person auch auf das Recht der Verwandten hinzuweisen, ihre Erbanlagen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Will die betroffene Person die Verwandten gleichwohl unterrichten, soll die Beratung auch die Möglichkeit umfassen, die Ärztin oder den Arzt mit der Unterrichtung von Verwandten der betroffenen Person zu beauftragen.

(3) Gegen den Willen der betroffenen Person oder ihres gesetzlichen Vertreters darf die veranlassende Ärztin oder der veranlassende Arzt Verwandte oder Partner der betroffenen Person nur dann von dem Untersuchungsergebnis unterrichten, wenn und soweit dies zur Wahrung erheblich überwiegender Interessen dieser Personen erforderlich ist.

Diagnostische genetische Untersuchung bei behinderten Personen

Bei diagnostischen genetischen Untersuchungen, die sich auf die Ursache einer Behinderung der betreffenden Person beziehen, gelten die Anforderungen an die Einwilligung und Unterrichtung über das Untersuchungsergebnis entsprechend.
Genetische Untersuchungen im Zusammenhang mit Arbeits- und Versicherungsverhältnissen

Grundsatz

Arbeitgebern und Versicherern ist es verboten, als Voraussetzung für einen Vertragsabschluss oder während des Vertragsverhältnisses prädiktive genetische Untersuchungen an betroffenen Arbeits- oder Versicherungsvertragsbewerbern oder Vertragspartnern durchzuführen oder zu veranlassen oder Ergebnisse von genetischen Untersuchungen zu verlangen, entgegenzunehmen oder sonst zu nutzen. Aus einer wahrheitswidrigen Beantwortung können Arbeitgeber oder Versicherer grundsätzlich keine Rechte ableiten (Ausnahmen siehe unten).

Arbeitsverhältnis

Bleibt der Arbeitsplatz trotz vorrangiger Arbeitsschutzmaßnahmen mit einer erhöhten Erkrankungs- oder Unfallgefahr verbunden, für deren Einritt nach dem Stand der Wissenschaft eine bestimmte Genstruktur der Betroffenen von Bedeutung ist, ist eine Arbeitsplatzbewerberin oder ein Arbeitsplatzbewerber hierauf hinzuweisen. Die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt soll die betroffene Person hinsichtlich einer geeigneten genetischen Untersuchung beraten und ihr dafür zugelassene Ärztinnen oder Ärzte benennen.

Ausnahmen für das Versicherungsverhältnis

(1) Strebt die betroffene Person eine Versicherung mit einer Leistungssumme über 250.000 € an, ist der Versicherer berechtigt zu fragen, ob und gegebenenfalls wann bei der betroffenen Person eine prädiktive genetische Untersuchung durchgeführt wurde. Bei arglistigem Verschweigen kann der Versicherer den Versicherungsvertrag kündigen.

(2) Bestehen konkrete Anhaltspunkte, insbesondere aufgrund des Zeitabstandes zwischen genetischer Untersuchung und Versicherungsantrag, dafür, dass die Höhe der gewünschten Versicherungsleistung mit dem Ergebnis der genetischen Untersuchung zusammenhängt, kann der Versicherer das Ergebnis der genetischen Untersuchung verlangen. Dies gilt nicht für eine genetische Untersuchung, die bei der betroffenen Person pränatal oder während der Minderjährigkeit oder einer Einsichtsunfähigkeit durchgeführt wurde. In diesen Fällen darf der Versicherer das Ergebnis der genetischen Untersuchung von der betroffenen Person entgegennehmen.
Genetische Untersuchungen zur Abstammungsklärung und zur Identifizierung außerhalb der Strafverfolgung

Grundsatz

(1) Zu Zwecken der Abstammungsklärung und der Identifizierung dürfen nur die dazu geeigneten und erforderlichen genetischen Untersuchungen (DNA-Identifizierungsmuster) durchgeführt werden. Diagnostische oder prädiktive Untersuchungen nach Krankheitsanlagen oder Merkmalen der betroffenen Person sind unzulässig. Abgesehen vom Merkmal Geschlecht sind unvermeidliche Überschussinformationen so früh wie möglich zu vernichten.

(2) Die untersuchende Stelle hat selbst die Proben bei der betroffenen Person zu entnehmen und dies zu dokumentieren.

(3) Die Proben sind zu vernichten, wenn die betroffene Person dies wünscht oder ein Gericht die Vernichtung anordnet, im Übrigen wenn die genetische Untersuchung durchgeführt ist. Die Dokumentation ist 10 Jahre aufzubewahren.

Einwilligung

Genetische Untersuchungen zu Zwecken der Abstammungsklärung oder Identifizierung dürfen nur mit schriftlicher Einwilligung der betroffenen Person oder ihres gesetzlichen Vertreters oder auf gerichtliche oder behördliche Anordnung durchgeführt werden. Für genetische Untersuchungen zur Abstammungsklärung bei Minderjährigen gilt § 1629 BGB.

Anordnung genetischer Untersuchungen zu Identifizierungszwecken

(1) In gerichtlichen und Verwaltungsverfahren kann das Gericht bzw. die Verwaltungsbehörde eine genetische Untersuchung zu Identifizierungszwecken anordnen, wenn die Identität einer Partei, eines Beteiligten oder einer für das Verfahren wichtigen dritten Person oder Leiche in Zweifel steht und nicht auf andere Weise geklärt werden kann. Ist die Identitätsfeststellung Voraussetzung für die Gewährung von behördlichen Genehmigungen oder Leistungen an die betroffene Person, ist die genetische Untersuchung nur mit ihrer Einwilligung zulässig.

(2) Die Anordnung hat die Art der Probe, das Ziel der Untersuchung sowie den Zeitpunkt der Vernichtung der Probe und der Löschung der genetischen Daten festzulegen. Bei lebenden Personen ist die Probe ohne Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu entnehmen, es sei denn, die betroffene Person willigt in einen Eingriff ein.
Genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken

Konkrete, zeitlich befristete Forschungsvorhaben

(1) Für konkrete, zeitlich befristete Forschungsvorhaben ist die genetische Untersuchung von Proben und die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung genetischer Daten zulässig, wenn

  1. die Proben und die genetischen Daten der betroffenen Person nicht mehr zugeordnet werden können oder
  2. im Falle, dass der Forschungszweck die Möglichkeit der Zuordnung erfordert, die betroffene Person nach den Anforderungen für Forschungsvorhaben eingewilligt hat (siehe unten) oder
  3. im Falle, dass weder auf die Zuordnungsmöglichkeit verzichtet, noch die Einwilligung eingeholt werden kann, das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schützenswerten Interessen der betroffenen Person überwiegt und der Forschungszweck nicht auf andere Weise zu erreichen ist.

(2) In den Fällen der Ziffer (1) Nr. 2 und 3 sind bei Proben vor der Untersuchung, bei genetischen Daten vor der Verarbeitung oder Nutzung die Merkmale, mit denen ein Personenbezug hergestellt werden kann, gesondert zu speichern. Die Zuordnungsmöglichkeit ist aufzuheben, sobald der Forschungszweck es erlaubt und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person gemäß der Regelung über deren Rechte (siehe unten) nicht entgegenstehen.

(3) Die Proben dürfen nur im Rahmen des Forschungsvorhabens untersucht, die genetischen Daten dürfen nur zu den Zwecken verarbeitet oder genutzt werden, für die sie im Rahmen des Forschungsvorhabens erhoben wurden.

(4) Mit Beendigung des Forschungsvorhabens sind die Proben zu vernichten und die genetischen Daten zu löschen. Ist ihre Aufbewahrung oder Speicherung zum Zwecke der Selbstkontrolle der Wissenschaft erforderlich, ist dies in pseudonymisierter Form für einen Zeitraum von längstens 10 Jahren zulässig.

(5) Konkrete, zeitlich befristete Forschungsvorhaben nach Ziffer(1) bedürfen der vorherigen Zustimmung der zuständigen Ethikkommission.

Sammlungen von Proben und genetischen Daten

(1) Das Sammeln von Proben einschließlich isolierter DNS oder RNS oder von genetischen Daten zu allgemeinen Forschungszwecken ist nur zulässig, wenn die betroffenen Personen über Zweck und Nutzungsmöglichkeiten der Sammlung aufgeklärt wurden und in die Entnahme der Probe sowie die Aufnahme von Probe und Daten in die Sammlung eingewilligt haben (siehe unten) Satz 1 gilt entsprechend für die Übernahme bereits vorhandener Proben oder genetischer Daten.

(2) Die Zuordnung der Probe und der genetischen Daten zur betroffenen Person ist vor der Aufnahme in die Sammlung aufzuheben. Erfordert der Zweck der Sammlung die Möglichkeit einer Zuordnung, sind die Proben und die genetischen Daten vor der Aufnahme in die Sammlung bei Treuhändern zu pseudonymisieren.

(3) Vor einer Weitergabe von Proben und einer Übermittlung genetischer Daten für konkrete Forschungsvorhaben ist die Möglichkeit der Zuordnung zur betroffenen Person aufzuheben oder, wenn der Forschungszweck dem entgegensteht, eine weitere Pseudonymisierung gemäß den Regelungen bei Treuhändern (siehe unten) vorzunehmen.

(4) Der Träger einer Sammlung hat eine kontinuierliche interne Datenschutzkontrolle sicher zu stellen. Bei Trägerwechsel gehen alle Verpflichtungen aus diesem Gesetz auf den neuen Träger über. Soll eine Sammlung beendet werden, sind die Proben zu vernichten und die genetischen Daten sowie die beim Treuhänder (siehe unten) gespeicherten Daten zu löschen.

(5) Die Einrichtung einer neuen und die Übernahme einer bestehenden Sammlung nach Ziffer (1) bedürfen der Zustimmung durch die zuständige Ethikkommission. Die Einrichtung ist mit dem Votum der Ethikkommission und unter Darlegung der in den Vorschlägen zur Sammlung von Proben und genetischen Daten, zur Aufklärung und Einwilligung, über die Rechte der betroffenen Person und über die Treuhänder geforderten Maßnahmen bei der für die Datenschutzkontrolle zuständigen Behörde anzuzeigen. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind kenntlich zu machen. Die Anzeige ist jeweils nach 5 Jahren mit einer Begründung der weiteren Speicherung zu erneuern. Ebenso sind die Vernichtung oder Löschung von Sammlungen nach Ziffer (1), die Löschung der Zuordnungsmerkmale bei Treuhändern und Trägerwechsel nach Ziffer (4) anzuzeigen.

Aufklärung und Einwilligung

(1) Die betroffene Person ist vor ihrer Einwilligung im Falle, dass der Forschungszweck die Möglichkeit der Zuordnung erfordert (siehe oben), oder bei Sammlungen von Proben oder genetischen Daten (siehe oben) insbesondere aufzuklären über

  • den verantwortlichen Träger des Forschungsvorhabens oder der Sammlung,
  • das Ziel der Forschung oder bei Sammlungen die möglichen Forschungsrichtungen,
  • ihre Rechte bei Patentanmeldungen und gewerblichen Nutzungen,
  • die Dauer der Aufbewahrung von Proben und der Speicherung der genetischen Daten,
  • Zeitpunkt und Art der Pseudonymisierung von Proben und genetischen Daten, sowie über die mögliche Wiederherstellung der Zuordnung zur betroffenen Person,
  • ihr Recht – vorbehaltlich der pseudonymisierten Verarbeitung nach Beendigung des Forschungsvorhabens (siehe oben) – die Vernichtung der Probe und die Löschung der genetischen Daten oder die Aufhebung der Zuordnungsmöglichkeit zu verlangen, wenn sie die Einwilligung widerruft,
  • ihr Recht, Ergebnisse von Untersuchungen nicht zur Kenntnis zu nehmen oder unter Nutzung eines darzustellenden Ent-Pseudonymisierungsverfahrens zu erfahren,
  • ihr Recht, Auskunft über die zu ihr gespeicherten genetischen Daten zu verlangen.

Die Aufklärung hat schriftlich und mündlich zu erfolgen.

(2) Die Einwilligung soll die Entscheidung darüber umfassen, ob die betroffene Person vom Ergebnis der Untersuchung Kenntnis nehmen will oder nicht.

(3) Die Einwilligung kann eine Schweigepflichtentbindung für zu benennende behandelnde Ärzte einschließen, wenn die betroffene Person über Art und Umfang der Patientendaten informiert wird, die der Arzt für das Forschungsvorhaben (siehe oben) oder die Sammlung von Proben oder genetischen Daten (siehe oben) übermittelt.

Rechte der betroffenen Person

(1) Hinsichtlich der genetischen Daten stehen der betroffenen Person die im Bundesdatenschutzgesetz geregelten Rechte zu. Widerruft die betroffene Person ihre Einwilligung (siehe oben), sind entweder die Probe zu vernichten und die genetischen Daten zu löschen oder die Zuordnungsmerkmale zu löschen.

(2) Erbringt ein Forschungsvorhaben Ergebnisse, die für die betroffene Person von Bedeutung sind, veranlasst der Träger des Forschungsvorhaben eine Unterrichtung der betroffenen Person. Dies gilt nicht, wenn die betroffene Person erklärt hat, von dem Untersuchungsergebnis keine Kenntnis nehmen zu wollen (siehe oben).

Treuhänder

(1) Die Pseudonymisierung von Proben und genetischen Daten erfolgt durch einen Treuhänder. Er vergibt die Pseudonyme unverzüglich, verwahrt und verwaltet die Zuordnungsmerkmale und sichert die Rechte der betroffenen Person (siehe oben). Soweit erforderlich, kann er für diese Zwecke Kontakt mit der betroffenen Person aufnehmen. Er hat keinen Zugriff auf genetische Daten.

(2) Treuhänder kann eine natürliche Person sein, die von Berufs wegen einer besonderen Schweigepflicht unterliegt und vom Träger des Forschungsprojekts oder der Sammlung von Proben oder genetischen Daten unabhängig ist. Im Vertrag zwischen dem Treuhänder und dem Träger des Forschungsvorhabens oder der Sammlung von Proben oder genetischen Daten sind insbesondere die Anlässe und das Verfahren zur Wiederherstellung des Personenbezuges, die Nutzungsformen durch die Selbstkontrollgremien der Wissenschaft sowie die technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Datensicherheit festzulegen. Der Vertrag ist vorab der für die Datenschutzkontrolle zuständigen Behörde vorzulegen.
Schlussvorschläge

Ordnungswidrigkeit

Ordnungswidrig handelt, wer

  • eine Reihenuntersuchung ohne die erforderliche Zulassung durchführt oder
  • den Anzeigepflichten bei der Einrichtung einer neuen oder der Übernahme einer bestehenden Sammlung von Proben oder genetischen Daten oder bei bestehenden Proben – oder genetischen Datensammlungen nicht fristgemäß nachkommt.

Straftaten

(1) Wer genetische Testverfahren unter Verstoß gegen die Anforderungen an das Inverkehrbringen genetischer Tests und Angebote von genetischen Untersuchungen einführt oder in Verkehr bringt oder genetische Untersuchungen ohne eine individuelle Beratung öffentlich anbietet, wird mit … … bestraft. Handelt die Täterin oder der Täter gewerbsmäßig, ist die Strafe … .

(2) Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine genetische Untersuchung zu medizinischen Zwecken durchführt, ohne

  • Arzt oder Ärztin zu sein,
  • die für die genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken festgelegten Beschränkungen der Untersuchungszwecke einzuhalten,
  • die geforderte Aufklärung und Beratung unternommen bzw. sichergestellt zu haben oder
  • die Einwilligung der betroffenen Person eingeholt zu haben,

wird mit … … bestraft.

(3) Wer als Arbeitgeber oder als Versicherer gegen das Verbot genetischer Untersuchungen verstößt, ohne dass die vorgesehene Ausnahmeregelung eingreift, wird mit … … bestraft.

(4) Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine genetische Untersuchung zu Zwecken der Abstammungsklärung oder Identifizierung in unzulässiger Weise auf prädiktive oder diagnostische Ziele ausrichtet oder ohne die geforderte Einwilligung durchführt, wird mit … … bestraft.

(5) Wer vorsätzlich oder fahrlässig personenbeziehbare Proben, DNS-/RNS-Teile oder genetische Daten entgegen den Regelungen für genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken

  • ohne Einwilligung oder Aufklärung zu Forschungszwecken nutzt oder
  • in Sammlungen für Forschungszwecke zur Verfügung stellt,

wird mit … … bestraft.

Antrag

Die oben aufgeführten Straftaten werden nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt sind die betroffene Person und die für die Datenschutzkontrolle zuständige Behörde.

Befristung

Die Regelungen sind auf zehn Jahre zu befristen. Acht Jahre nach In-Kraft-Treten haben die für die Datenschutzkontrolle zuständigen Behörden unter Federführung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz dem Gesetzgeber einen Bericht über die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Regelungen und über neue Gefährdungen für das Persönlichkeitsrecht sowie zu möglichen Rechtsvereinfachungen vorzulegen. Diesem Bericht sind Stellungnahmen des Ethikrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft beizufügen.

Übergangsvorschrift

Träger von bestehenden Proben- und genetischen Datensammlungen haben der Anzeigepflicht bei der Einrichtung einer neuen oder der Übernahme einer bestehenden Sammlung innerhalb von sechs Monaten nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes nachzukommen. Innerhalb dieser Frist ist den Anforderungen an die Einwilligung zu entsprechen. Vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes ohne Einwilligung gewonnene Proben und erhobene genetische Daten sind spätestens nach zwei Jahren zu vernichten bzw. zu löschen. Dies ist der für die Datenschutzkontrolle zuständigen Behörde anzuzeigen.