Teilt sich die Gesellschaft in „geimpft“ und „nicht geimpft“? Wer soll wissen, wer geimpft ist? Darüber sprechen der Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Stefan Brink, und die LfDI-Ethik-Referentin Clarissa Henning in ihrem Aufsatz „Geimpft oder nicht geimpft? Ein „Datum“ könnte zum Richter über unsere Freiheitsrechte werden“. Der Text wurde am 8.12. leicht gekürzt als Gastbeitrag im Tagesspiegel Background veröffentlicht.
Geimpft oder nicht geimpft? Ein „Datum“ könnte zum Richter über unsere Freiheitsrechte werden
von Stefan Brink, Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg,
Clarissa Henning, Referentin für Datenethik des LfDI BW
Die bedingte Zulassung des Covid-19-Impfstoffs der Firmen BioNtech und Pfizer in Großbritannien rückt die sehnlich erwartete Möglichkeit einer Immunisierung gegen das Virus auch in Deutschland in greifbare Nähe. Noch Ende Dezember dieses Jahres will die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) über eine Zulassung von Impfstoffen verschiedener Hersteller in Deutschland entscheiden und uns damit den denkbar hoffnungsfrohesten Start in das Jahr 2021 bescheren. Mit Hochdruck arbeiten die Behörden nun daran, die nötige Infrastruktur in Form von Impfzentren aufzubauen, um so schnell wie möglich eine große Zahl der Bürgerinnen und Bürgern impfen zu können – jedenfalls (und nur!) diejenigen, die sich impfen lassen möchten.
Teil der Impfzentren-Infrastruktur wird ein sogenanntes Impfregister sein, in dem festgehalten wird soll, wem wann wo welcher Impfstoff injiziert wurde. Dies ist nötig, um die dauerhafte Wirksamkeit des Impfstoffs nachverfolgen zu können, nötige Erkenntnisse für eine unbedingte Zulassung des Impfstoffes zu sammeln, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln zu erkennen und mögliche Spätfolgen der Impfung identifizieren zu können. Hierbei haben die Bundes- und die Landesdatenschutzbehörden ein wachsames Auge darauf, dass die für das Impfregister nötigen personenbezogenen und besonders sensiblen Daten der Geimpften nur für eben diese Zwecke genutzt werden – und der Zugriff auf diese Daten dezidiert begrenzt wird auf einen engen Kreis von Gesundheitsbehörden und Forschungseinrichtungen. Nur diese. Warum ist das wichtig zu betonen?
Angesichts der angespannten Lage, mitten im „Light-Lockdown“ und mit Perspektive auf ein nicht ganz unbeschwertes Weihnachtsfest mit (allen?) unseren Lieben, hoffen wir, aufatmen zu können: Bald könnte es soweit sein, dass wir unsere Freiheiten wiedererlangen. Ursprünglich Selbstverständliches wie Reisen, Konzertbesuche und die Kaffeerunde mit den Kolleg*innen rückt in greifbare Nähe. Aber: Für wen genau? Für alle? Wohl kaum. Wenn wir nicht aufpassen, wird es diese Freiheiten nur für Einzelne geben. Der Impfstoff ist noch nicht freigegeben und die Zusage der Regierung steht, dass es keine Impfpflicht geben wird. Aber schon planen die ersten Unternehmen, die Freiwilligkeit der Impfung zu unterlaufen. So machte die Ankündigung der Fluggesellschaft Qantas, dass nur Fluggäste befördert werden, die einen Corona-Impfschutz nachweisen können, Schlagzeilen.
Und auch in der Eventbranche freundet man sich offenbar mit dem Gedanken an, nur diejenigen ein Konzert besuchen zu lassen, die eine Covid-19-Impfung nachweisen. Derartige Pläne torpedieren die Hoffnung, in die freiheitliche Ordnung zurückkehren zu können, in der wir vor einem Jahr noch lebten. Stattdessen gehen auf eine gespaltene Gesellschaft zu: hier die Geimpften, dort die nicht oder noch nicht Geimpften. Gesamtgesellschaftliche Güter und Freiheitsrechte dürfen nicht zu Privilegien werden – denn das ist nicht die Rückkehr zum „Normalzustand“, die wir uns alle wünschen. Außerdem unterminieren solche Vorstöße maßgeblich das Vertrauen in die Zusagen des Staates, keinen zur Impfung zu zwingen. Jenes Staates, der angesichts eines misslingenden Lockdowns mit einer gravierenden Erosion gesellschaftlicher Solidarität zu kämpfen hat – gerade weil die herrschenden Freiheitseinschränkungen das Vertrauen in den Staat auf die Probe stellen.
„Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“ Dieses Versprechen hat Gesundheitsminister Jens Spahn den Bürgerinnen und Bürgerinnen erst jüngst wieder gegeben. Das bedeutet, dass jede und jeder frei, ohne Zwang, entscheiden kann, ob er sich gegen das Virus impfen lassen möchte oder nicht, sofern er oder sie nicht in besonders gefährdeten Berufen wie z. B. Pflegeberufen arbeitet; auch in Gesundheitsberufen ist eine Impfpflicht nichts Ungewöhnliches. Frei kann diese Entscheidung für eine Impfung jedoch nur sein, wenn sie nicht durch die Gefahr von Diskriminierung überlagert wird. Eine Diskriminierung stellt es nämlich dar, wenn der Zugang zu Freizeitaktivitäten, Beförderungsmitteln oder dem Arbeitsplatz davon abhängt wird, ob ich bereit bin, meine ganz private Impf-Entscheidung öffentlich zu machen.
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – selbst zu entscheiden, wem ich meine persönlichen Gesundheitsdaten offenbare – wird so wesentlich beschnitten und gegen das „Sicherheits-Mantra“ der modernen Gesellschaft, die „Volksgesundheit“ und die Freiheitsrechte der Geimpften ausgespielt. Einer sozialen Spaltung der Gesellschaft wird so Vorschub geleistet, der soziale Druck auf den Einzelnen unerträglich erhöht. Wenn wir es dulden, dass einzelne Unternehmen anfangen, Menschen aufgrund ihrer Gesundheitsentscheidungen zu diskriminieren und auszuschließen, werden schnell weitere Unternehmen und viele Arbeitgeber nachziehen. Und das mit durchaus plausiblen Argumenten: Denn wer möchte nicht im Flugzeug oder Bus sicher sein, dass neben ihm kein Covid-19-Infizierte*r sitzt oder dass sich Arbeitnehmer des eigenen Betriebs nicht anstecken? Spricht nicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gerade für eine Diskriminierung nicht impfwilliger Kolleg_Innen? Und wenn wir schon dabei sind: Sobald sich etabliert hat, eine Corona-Impfung als „Eintrittsticket“ zu verlangen, warum sollte man dann nicht auch weitere Gesundheitsmaßnahmen fordern? Es ist leicht zu erkennen, dass von „Freiwilligkeit“ der Impfung bald nicht mehr gesprochen werden kann – und auch nicht mehr von informationeller Selbstbestimmung. Ich bin nicht selbstbestimmt, wenn ich dazu gezwungen werde, sensible Daten von mir an jeder Einlasspforte zu offenbaren, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Die Gesellschaft wird so in zwei Klassen geteilt: Geimpft oder Nicht-Geimpft. Von der jeweiligen Klassenzugehörigkeit hängt ab, in welchem Maß Freiheitsrechte ausgelebt werden können; gemeinsam ist uns dann nur noch, dass informationelle Selbstbestimmung keinem mehr zugestanden wird, der ständig seinen Impfausweis zücken muss.
Dieser Zustand wäre schon gänzlich unannehmbar, wenn wir davon ausgingen, dass eine Impfung zu 100 Prozent sicherstellt, dass Geimpfte nicht nur immun gegen eine Corona-Ansteckung sind, sondern auch andere nicht mehr anstecken können. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch völlig unklar. Zudem gibt kaum Erkenntnisse darüber, wie bzw. ob der Wirkstoff bei alten oder kranken Menschen wirkt – also gerade bei den besonders im Fokus stehenden vulnerablen Gruppen. Darüber hinaus zeigen die bis dato zugrundeliegenden Impfstudien, dass eine Impfung mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent zu einer Immunisierung führt. D. h. fünf von 100 geimpften Personen hätten einen Impfnachweis, ohne wirklich immun zu sein. Zudem reden wir derzeit von einer bedingten Zulassung des Impfstoffes, also zunächst für eine Zeit von einem Jahr, da noch weitere Erkenntnisse über die Wirkung der Vakzine zu sammeln sind – auch dies mit ungewissem Ausgang.
Mit Zulassung des ersten Impfstoffes kommen wir also nicht umhin, weiterhin mit Ungewissheit umgehen zu müssen und geeignete Vorsichtsmaßnahmen wie Maskenschutz zu treffen. Daher ist es unabdingbar, Vorstöße, die nachhaltig unsere Gesellschaftsstruktur verändern würden, staatlicherseits abzuwehren. Und hier kann die Lösung nur heißen: das Fragen nach dem Impfstatus nachdrücklich zu verbieten. Freiheitsbeschränkungen sind nur Ultima Ratio und dürfen nicht zur neuen Normalität werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass Schnellschüsse einzelner Branchen, vermeintliche Sicherheit zu schaffen, gesetzgeberische Zusagen durch die Hintertür in Frage stellen und die Gesellschaft vor eine weitere Zerreißprobe stellen. Verschärft wird die Situation, wenn derartige marktwirtschaftliche Überlegungen von politischen Akteuren flankiert werden, die den Druck auf Bürgerinnen und Bürger erhöhen wollen, sich impfen zu lassen. Besondere Brisanz bekommen derartige Aussagen vor dem Hintergrund, dass es einige Zeit dauern wird, bis alle Impfwilligen geimpft werden können. Es müssen Priorisierungen festgelegt werden, welche Gruppen besonders gefährdet sind, sich zu infizieren oder einem schweren Verlauf der Krankheit ausgesetzt zu sein.
Auch hier wird es klarer Richtlinien bedürfen, damit nicht der Eindruck einer Mehr-Klassen-Gesellschaft entsteht. Undenkbar, wenn die Reihenfolge der Impfung dann auch noch damit zusammenhängen würde, wann Einzelne wieder in den Urlaub fliegen dürfen, während andere noch nicht mal in das Restaurant um die Ecke gehen dürfen, da sie zu einer der letzten Gruppen gehören, denen die Vakzine zur Verfügung stehen. Auch mit Blick auf die weltweit sehr ungleiche Verteilung an Impfstoffdosen würde nicht nur eine nationale, sondern auch die globale Spaltung der Gesellschaft befeuert. So gehen laut Berechnungen zwei Drittel des Impfstoffes an die 50 reichsten Länder, ein Drittel an den Rest der Welt. Diese Situation könnte zudem befördern, dass Impfnachweise auf dem Schwarzmarkt angeboten werden. Ein fälschungssicheres Ausweisdokument müsste entwickelt werden, was wiederum Zeit in Anspruch nimmt und die Infrastruktur der Impfzentren zusätzlich belastet.
Hier ist also der Gesetzgeber gefordert, sich klar zu positionieren, was in Anbetracht der massiven Vorstöße einzelner Branchen und Politiker nur mit einem Antidiskriminierungsgesetz möglich ist, das klare Verbote formuliert. Es muss gesetzlich garantiert werden, dass private Unternehmen und Arbeitgeber die Vorlage eines Impfpasses o. Ä. nicht dazu nutzen dürfen, den Zugang zu Dienstleistungen, Waren oder der Arbeitsstelle über die Abfrage des Impfstatus zu regulieren. So würden Freiheiten zu Privilegien, die es zu bezahlen gilt mit der Aufgabe informationeller Selbstbestimmung. Der soziale Druck, Diskriminierung und psychosoziale Auswirkungen der Ausgrenzung würden ihr übriges tun, um Menschen dem Zwang auszusetzen, sich impfen zu lassen, wo doch eigentlich Überzeugung dazu führen sollte, eine für jeden „richtige“ Entscheidung zu treffen. Folglich sollte das Gesetz festlegen, dass der Impfstatus nur im Impfregister, begleitet von datenschutzrechtlichen Maßnahmen, dokumentiert werden darf. Der Zugang zu diesen Daten muss begrenzt und kontrolliert sein, sodass sie nur für medizinische Zwecke genutzt werden. Andernfalls wird die Abfrage eines einzelnen Datums einen Erdrutsch lostreten, der uns den Rückweg in die freiheitliche Gesellschaft verbaut. Geimpft oder nicht geimpft? Das darf nicht die Frage sein!