Man sollte doch meinen, dass man sich auf das Wort der Polizei verlassen kann. Schließlich nimmt sie in regelmäßigen Umfragen über die Vertrauenswürdigkeit von Institutionen regelmäßig einen Spitzenplatz ein. Leider zeigt die Realität manches Mal ein anderes Bild. So im Fall einer Petentin, dem Folgendes zugrunde lag:
Im Jahr 2015 wandte sich die Petentin an meine Dienststelle, weil sie auf ein Auskunftsersuchen hin erfahren hatte, was die Polizei so alles über sie speichert. Die Zahl der gespeicherten Verfahren war tatsächlich beeindruckend, sie reichten fast 20 Jahre zurück. Um hier aber keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Es ging durchweg um Bagatelldelikte, die allerdings in „schöner“ Regelmäßigkeit wiederkehrten.
In mühevoller Kleinarbeit gelang es uns, dabei auch tatkräftig durch das Landeskriminalamt unterstützt, die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der einzelnen Speicherungen jeweils herauszuarbeiten. Hieran schloss sich der Versuch an, die Polizeidienststellen, welche die Speicherungen im polizeilichen Informationssystem jeweils zu verantworten hatten, von unserer Rechtsauffassung zu überzeugen. In einigen Fällen gelang dies schnell, etwa die Speicherung einer Sachbeschädigung: Hier war der Petentin vorgeworfen worden, im Rahmen einer Aktion, bei der mit Sprühkreide Punkte auf einem Parkplatz aufgesprüht worden waren (Schaden ca. 30 Euro), die Deckel der Sprühdosen in ihrem Rucksack bei sich geführt zu haben. In anderen Fällen ging es um die Reduzierung von Speicherfristen, hier wurden zum Teil Maximalfristen vergeben, die aus unserer Sicht nicht berechtigt waren, und die den Effekt hatten, alle vorherigen Speicherfristen mitzuziehen, bis die letzte Frist abgelaufen war.
Das Ganze führte im Ergebnis dazu, dass das Landeskriminalamt im Januar 2017 abschließend mitteilte, wenn nichts neues mehr dazu komme, würden die Daten Ende Juli 2017 komplett gelöscht werden. Freudig teilten wir dieses gute Ergebnis der Petentin mit, allerdings mit dem Rat, zu gegebener Zeit sicherheitshalber nochmal nachzufragen, ob die Ankündigung auch vollzogen sei. Die Überraschung folgte auf den Fuß: Nach einem Auskunftsantrag vom Herbst 2017 wurde der Petentin im Dezember 2017 mitgeteilt, es sei alles noch beim Alten. Obwohl sich die Petentin in Baden-Württemberg über Jahre nichts mehr hatte zuschulden kommen lassen, befand sich der vollständige Datenbestand noch immer im Auskunftssystem. Als Löschtermin war das Frühjahr 2023 vorgesehen. Die erstaunliche Begründung dafür war, dass die Bundespolizei mittlerweile ein Ermittlungsverfahren in das bundesweite, beim Bundeskriminalamt geführte Informationssystem INPOL eingestellt habe. Aus einer Dienstanweisung zum Landesinformationssystem POLAS ergebe sich, dass in solchen Fällen der Landesbestand mitgezogen werde. Auf eine solche Begründung waren wir nicht gefasst! Postwendend teilten wir dem Landeskriminalamt sowie betroffenen Polizeipräsidien unsere Rechtsauffassung wie folgt mit:
Die Frage, ob und für welchen Zeitraum die Polizei des Landes personenbezogene Daten von Bürgern in ihren Dateien speichern darf, bestimmt sich einzig und allein nach Gesetz. Eine Dienstanweisung als rein polizeiinterne Vorgabe kann Grundrechtseingriffe dagegen nicht legitimieren. Die für die Polizei des Landes allein maßgeblichen Speicherungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 38 des Polizeigesetzes (PolG) in Verbindung mit § 5 der Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des Polizeigesetzes (DVO PolG). Nach diesen Vorschriften ist eine weitere Speicherung der Daten der Petentin in dem Auskunftssystem POLAS nach dem 31. Juli 2017 nicht mehr zulässig. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die weitere Speicherung erforderlich und dies entsprechend dokumentiert wäre (§ 38 Absatz 5 Satz 4 PolG), was hier allerdings nicht der Fall war. Auch aus dem Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) kann hier keine (weitere) Speicherberechtigung hergeleitet werden, etwa durch Anwendung des §77 Absatz 3 Satz 1 BKAG. Denn der Bund ist nicht berechtigt, auf Länderdateien bezogene landesgesetzliche Speicherfristen durch abweichendes Bundesgesetz auszuhebeln. § 77 BKAG gilt ausschließlich für Speicherungen im polizeilichen Informationsverbund INPOL. Diese Speicherungen sind akzessorisch zu den Speicherungen im Landesbestand. Speicherungen, die im Landesbestand nach Landesrecht zu löschen sind, sind demgemäß auch im Bundesbestand zu löschen (§ 29 Absatz 5
Satz 1, § 31 Absatz 2 Satz 1 BKAG). Der „Mitzieheffekt“ des § 77 Absatz 3 Satz 1 BKAG bedeutet nicht, dass nach Landesrecht zu löschender Landesbestand allein deshalb weiterzuführen wäre, weil die Polizei eines anderen Verbundteilnehmers nach jeweils eigenem Recht zur Speicherung berechtigt wäre. Wobei, auch darauf muss hingewiesen werden, die Polizei in diesen Fällen nicht in der Lage ist, die Speicherungen durch Polizeidienststellen anderer Länder oder des Bundes auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Um es deutlich zu sagen: Es kann nicht sein, dass die Polizei Bürgerinnen und Bürger allein im blinden Vertrauen darauf speichert, dass Polizeibehörden anderer Länder schon alles richtig gemacht haben werden, obwohl die eigenen rechtlichen Grundlagen eine Speicherung verbieten.
Vor diesem Hintergrund baten wir das Landeskriminalamt, die Daten aus dem Bundesbestand zu löschen, und die betroffenen Dienststellen, ihrerseits den Landesbestand zu bereinigen.
Beim Landeskriminalamt führte dies dann tatsächlich zum Umdenken. Das Amt löschte die Daten, für die es originär zuständig war, umgehend aus dem Auskunftssystem. Für die Daten aber, für die es keine Verantwortung trug, waren ihm allerdings die Hände gebunden. Hier waren die örtlichen Polizeidienststellen am Zug. Das klappte nicht in jedem Fall ganz reibungslos. Insbesondere ein Polizeipräsidium teilte erst nach Wochen auf telefonische Nachfrage mit, dass unsere Rechtsauffassung wohl zutreffe, man wolle sich aber erst noch an höherer Stelle rückversichern. Unabhängig davon werde man aber die Speicherungen zur Petentin in POLAS löschen. Das ist mittlerweile auch geschehen. Endlich!
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