Handreichung zu online-Prüfungen an Hochschulen

Hier gibts die Handreichung als PDF.

Im Zuge der Digitalisierung gehen Hochschulen – und zwar nicht nur Fern-Hochschulen – immer mehr dazu über, Studien-Prüfungen online durchzuführen. Sie reagieren damit auf eine gestiegene Nachfrage von Studierenden, aber insbesondere auch auf die in Zeiten der Pandemie stark eingeschränkten Möglichkeiten von Präsenzprüfungen. Alle diese Prüfungen stehen unter dem Gebot der Gleichwertigkeit und Fairness, müssen jedoch als online-Verfahren, die teilweise erheblich in die räumliche und technische Privatsphäre der Studierenden eingreifen, auch allen datenschutzrechtlichen Anforderungen genügen.

Diese Handreichung umreißt in knapper Form die dabei einschlägigen rechtlichen Grundlagen und stellt Eckpunkte vor, die der LfDI auf Grundlage von Gesprächen mit Hochschulvertretern und Vertretern des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, einer Hochschul-Umfrage sowie Beschwerden von Studierenden und ihrer Vertretungen entwickelt hat. Diese Gespräche werden fortgesetzt und zu einer Weiterentwicklung dieser Handreichung beitragen.

Rechtliche Grundlagen von online-Prüfungen an Hochschulen

Die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) reguliert seit 2018 die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche und private Stellen, ist also auch bei online-Prüfungen an öffentlich-rechtlichen und privaten Hochschulen einschlägig.

Als Rechtsgrundlage scheidet die Einwilligung des Studierenden (Art. 6 Abs. 1 lit. a DS-GVO) regelmäßig aus: Gegenüber öffentlichen Stellen fehlt es regelmäßig an der Freiwilligkeit der Einwilligung (vgl. Erwägungsgrund 43), wegen ihrer jederzeitigen Widerruflichkeit (Art. 7 Abs. 3 DS-GVO) stellt sie zudem keine stabile Grundlage für Prüfungen dar. Vorzugswürdig ist daher eine Verarbeitung auf gesetzlicher Grundlage (Art. 6 Abs. 1 lit. c und e DS-GVO), wie sie in Baden-Württemberg mit dem Landeshochschulgesetz (LHG) geschaffen wurde.

Die DS-GVO stellt weitere Anforderungen an die Transparenz der online-Prüfungen (Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 12 DS-GVO). Alle Studierenden sind vorab vollständig über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Rahmen der online-Prüfung, insbesondere über generelle und individuelle Überwachungsmaßnahmen zu informieren. Heimliche Überprüfungen sind daher unzulässig. Die den Studierenden erteilten Informationen müssen dabei in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache erfolgen. Ausführungen, die aufgrund ihrer Komplexität oder Darstellungsform nicht in zumutbarer Weise zur Kenntnis genommen werden können, erfüllen diese Anforderungen nicht.

Neben dem europäischen Recht einschließlich Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta ist die nationale Rechtsordnung zu respektieren. Einschlägig sind hier zunächst die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleiteten Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (IT-Grundrecht); letzteres ist bei tiefen Eingriffen in die Funktionen von Computern der Studierenden zu beachten. Beide Grundrechte verlangen eine gesetzliche Eingriffsgrundlage, welche bestimmt und klar formuliert ist und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip fordert insbesondere, dass für unterschiedliche Prüfungsgegenstände differenzierte Prüfungsmodalitäten verwendet werden und die Überwachungsmaßnahmen an die jeweiligen Prüfungsmodalitäten angepasst werden. So müssen und dürfen bei Open-Book-Arbeiten, bei denen die Nutzung von Hilfsmitteln weitgehend zulässig sind, wesentlich weniger Überwachungsmaßnahmen durchgeführt werden als bei Prüfungen mit streng regulierten Hilfsmitteln. Soweit die Prüfungsmaterie es zulässt, sollten daher mit Blick auf die genannten Grundrechte Prüfungsmodalitäten zum Einsatz kommen, die – bei Einhaltung desselben Leistungsniveaus – möglichst wenig Überwachungsmaßnahmen erfordern. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit greift auch bei der differenzierten Betrachtung technischer und organisatorischer Prüfungsbedingungen, etwa bei der Auswahl einer möglichst eingriffsarmen Software (Browseranwendung vs. stand alone-Software) oder bei der Differenzierung zwischen in der Privatwohnung oder an der Hochschule durchgeführten online-Prüfungen.

Darüber hinaus verbietet der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, bei online-Prüfungen ein Niveau der Täuschungsfreiheit anzustreben, das auch in Präsenzprüfungen nicht sichergestellt wird. Das schließt insoweit jede Datenerhebung nur zu Beweiszwecken, überschießende Dokumentationen und eine wesentliche Abweichung vom Zahlenverhältnis der Anzahl der Aufsichtspersonen/Studierenden bei Präsenzprüfungen aus. Soweit bei online-Prüfungsformaten die Täuschungsgefahr wesentlich höher als bei Präsenzprüfungen ist, kann dies durch zusätzliche Aufsichtspersonen (die im Falle eines Täuschungsverdachts hinzugezogen werden) ausgeglichen werden.

Grundlage der Durchführung von online-Prüfungen ist in Baden-Württemberg das Gesetz über die Hochschulen in Baden-Württemberg (Landeshochschulgesetz – LHG), das in § 32 a online-Prüfungen reguliert und insbesondere eine Aufzeichnung der Prüfung oder anderweitige Speicherung der Bild- oder Tondaten für unzulässig erklärt, soweit sie nicht technisch zur Übertragung der Online-Prüfung unter Videoaufsicht erforderlich ist (Abs. 6). Eine über die Übertragung von Bild- und Tondaten des Studierenden hinausgehende Raumüberwachung findet nicht statt (Abs. 5 Satz 4). Die Teilnahme an online-Prüfungen ist freiwillig (Abs. 1 Satz 3), was diskriminierungs- und nachteilsfreie Alternativen wie die Teilnahmemöglichkeit an termingleichen Präsenzprüfungen voraussetzt (Abs. 1 Satz 5). Prüfungsordnungen (Satzungen) der Hochschulen, die hinreichend bestimmt sein müssen, gestalten die Prüfungsabläufe näher aus.

Auf diesen Grundlagen ergeben sich die folgenden Eckpunkte:

• Aufzeichnungsverbot: Im Rahmen von online-Prüfungen dürfen keine Screenshots oder keine Aufzeichnungen in Bild oder Ton angefertigt werden – § 32a LHG verbietet das nicht nur grundsätzlich, sondern ausnahmslos. Auch Beschäftigten der Universität und – soweit diesen überhaupt z. B. bei mündlichen Prüfungen das Zuschauen oder Zuhören gestatten werden kann oder muss – Dritten gegenüber ist das Aufzeichnungsverbot durch angemessene technische und organisatorische Maßnahmen durchzusetzen.

• keine Raumüberwachung: Der Kameraschwenk durch das Studentenzimmer ist unzulässig, eine Umgebungsprüfung in Bild oder Ton ist laut § 32a Abs. 5 Satz 4 LHG verboten. Dies gilt auch in Verdachtsfällen auf Prüfungsbetrug.

• Identifizierung des Studierenden: Zulässig ist alleine die live-Identifizierung mit Vorzeigen des amtlichen Lichtbildausweises oder des Studierendenausweises; die Aufzeichnung, Speicherung oder das Verlangen, diese Ausweise hochzuladen, sind unzulässig (§ 32a Abs. 4 LHG). Beim amtlichen Lichtbildausweis ist den Studiereden zu gestatten, nicht zur Identifizierung erforderliche Informationen (wie z. B. die Nummer des Personalausweises/Passes) abzudecken.

• Pflicht zum Split-Screen der Aufsicht: Die grundsätzliche Vergleichbarkeit der Prüfungssituation gebietet, wie bei der Präsenzprüfung zwischen Überblicks- Aufsicht und Einzelkontrolle zu differenzieren. Jenseits von Stichprobenüberprüfung und Verdachtsüberprüfung wird nur über eine Split- Screen-Ansicht beaufsichtigt.

• Der „Denkprozess“ der Teilnehmenden bei der Erstellung der Antworten darf nicht durch Einsichtnahme in Entwürfe nachverfolgt werden.

• Jede individuelle Überwachungsmaßnahme (z.B. längerdauerndes Aufrufen eines Einzelbildes des Prüflings) muss diesem optisch angezeigt werden (keine heimliche Überprüfung).

• Überprüfungen von Täuschungshandlungen im Einzelfall dürfen den übrigen Studierenden gegenüber nicht offenbart werden (Überprüfung nur separat).

• Besonders eingriffsintensive „Tools“ von Videokonferenz-Systemen (z. B. sog. Aufmerksamkeits-Tracking / Tracking von Augen-/Kopf-/Körperbewegungen / Auswertung von Umgebungsgeräuschen / Einsatz von „KI“) sind mangels einer sie rechtfertigenden speziellen gesetzlichen Grundlage unzulässig.

• Eine über die Videoaufsicht hinausgehende Kontrolle des Endgeräts der Nutzerin oder des Nutzers (z.B. durch Bildschirmfreigabe) ist unzulässig. Dies gilt erst recht für den Einsatz von Software, die unverhältnismäßig in die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme eingreift.

• Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten (Artikel 9 Absatz 1 DS-GVO) ist nur nach Maßgabe von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe g, Absatz 3 DS-GVO in Verbindung mit § 12 Absatz 2 LHG zulässig. Das bedeutet insbesondere:

> Die Kontrolle des Verbots, technische Mittel bei der online-Prüfung einzusetzen, darf nicht zu einer Offenlegung von Gesundheitsdaten wie der Nutzung von Hörgeräten oder Insulinpumpen führen.

> Die Verarbeitung biometrischer Daten (etwa im Rahmen von Gesichtsabgleichsverfahren) ist unzulässig.

• Beim Einsatz von Dienstleistern, die personenbezogene Daten außerhalb der EU verarbeiten oder dorthin herausgeben, ist auf die Einhaltung der DS-GVO- Regelungen zum Datentransfer zu achten (Art. 44 ff. DS-GVO; EuGH-Schrems II).

Stand: 15.07.2021

 

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